Wed – Fri 1 pm – 4 pm Uhr,
Sat 11 am – 4 pm
IF IT WERE JUST ABOUT ATTITUDE EVERYONE WOULD HAVE IT
Und gleich am nächsten Morgen, als noch alles frisch und herrlich unklar war, setzte ich mich hin und machte mich an die Arbeit. Moritz von Uslar: Deutschboden
Drei Monate war Ronny Szillo in Zernsdorf, lokal nur ZDF genannt, einem Dorf übergangslos zu Königswusterhausen (genannt: KW) gelegen, wiederum übergangslos zu Berlin. Zernsdorf ist nicht bloß Aufenthaltsort, sondern Mitspieler: Er liefert Material und Sprache, eigene Codes und Symbole. Alles kürzen, nichts erklären, Biertrinken. Die Grundsätze dörflicher Zeitwahrnehmung; man hat viel davon und will trotzdem sparen.
In fünfzehn Arbeiten sind die Zeit, der Ort und die Geschichte eingeschrieben, historisches Material wird mit zeitgenössischer Symbolik überformt, zeitgenössisches Material mit historischer Symbolik. Es geht um den Begriff des Bildes. Szillos Arbeiten enthalten alle klassischen Mittel eines Gemäldes: Keilrahmen, Leinwand, Farbe und Pinsel, sind aber sicherlich keine Gemälde. Er behandelt das Material als Objekt, sieht den sonst unsichtbaren Keilrahmen als Körper, im fast menschlichen Sinne, und das darüber liegende Textil, die Leinwand, als Kleidungsstück, das den Körper nur teilweise bedeckt. Alles trägt hier Botschaft, von Herkunft, An- und Zugehörigkeiten. Der Körper ist Grundlage für Tätowierungen aus allen Jahrzehnten, die Geschichten von kommenden und gehenden Moden, Liebschaften und der Entwicklung ihres Trägers erzählen, während die Shirts, Bauchtaschen und sogar Strümpfe auf die zeitgenössische Haltung hinweisen, nicht die letzten 30 Jahre abbilden, sondern eher die letzten fünf. Interessanterweise findet sich in beiden Trägermedien immer wieder die Ästhetik der 1990er Jahre, aus der Sturm und Drang-Zeit ihrer Träger, einer Generation von Wendekindern, die die DDR zwar noch bewusst miterlebt haben, aber gleichzeitig mit westlicher Markenästhetik sozialisiert wurden. Szillo übernimmt die formale Sprache seiner Protagonisten, der Menschen, die er während seines Aufenthalts im ländlichen Berliner Speckgürtel vor allem am „Späti“, der eigentlich nur ein Getränkemarkt mit Parkbank in der Nähe ist, kennengelernt hat und überführt sie in seine Arbeiten. Den Körper und die Kleidung, also den Keilrahmen und die Leinwand, bearbeitet er mit Lasergravur und collagiert weitere Elemente darauf, wie Jeans, als Chiffre westlicher Jugendkultur, sowohl Arbeitskleidung als auch Mode.
Viele der verwendeten Leinwände sind alt, lagen Jahrzehnte im Keller einer Künstlerin, vielleicht als Vorrat für zukünftige Bilder, die dann aber nicht mehr gemalt werden konnten oder wollten, vielleicht: vom Leben eingeholt wurden. Ihre Spuren finden sich in Knicken, Beulen und Flecken, Stock und Schimmel. Die Materialien und ihre Geschichte zu nutzen ist keine ökonomische Entscheidung, sondern programmatisch; sie werden nicht kaschiert, sondern gegenteilig belassen und betont, gelegentlich in eine Komposition einbezogen und sind nicht nur Objektgeschichte, sondern elementarer Bestandteil des künstlerischen Prozesses, gewissermaßen sogar das Weiterzeichnen einer künstlerischen Biografie. Was in der akademischen Malerei versteckt und retuschiert wird, die Materialmüdigkeit, aber auch die Konstruktion des Bildes, tritt in den Vordergrund. In manchen Arbeiten wird der Rahmen freigelegt, wie der Brustkorb bei einer Operation, der verwendete Pinsel ist dabei nicht malerisches Werkzeug, sondern chirurgische Klammer. Das Objekt wird zur Rekonstruktion und Dekonstruktion von Malerei gleichermaßen und sabotiert den Allgemeinplatz von „Öl auf Leinwand“ als Goldstandard der Kunst.
Der Symbolgebrauch in Szillos Arbeiten steht nicht in der Tradition postmoderner Beliebigkeit, sondern stellvertretend für seine präzise Lesart der visuellen Codes einer Generation. Die stechenden Augen aus dem Logo der sich im Extremsport verortenden Marke „No Fear“ und „Peeing Calvin“, einst inoffizielle Wappen der bundesrepublikanischen Autotuning-Kultur, ziehen sich durch die Serie. Calvin, ein frecher Junge, entnommen aus der Comic-Serie „Calvin and Hobbes“, markiert seine Umgebung, uriniert gegen das Establishment, während er uns frech entgegengrinst und wird damit nicht nur zum Sinnbild des von Szillo portraitierten Milieus, sondern auch zum chiffrierten Selbstportrait des Künstlers: Er pinkelt nicht weil er muss, sondern weil er will.
Text: Sophia Pietryga