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Gebt den wilden Männern Frieden

11/05/2007
– 12/06/2007

Herbert Volkmann

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Gebt den wilden Männern Frieden

Herbert Volkmann im Gespräch mit Jonathan Meese 2007

H. V.
… Popart als Nachfolger der bürgerlichen Kultur und dementsprechend ist die Frage gestellt, wie es weitergeht. Da komm ich automatisch zu einer Überzeichnung der ganzen Geschichte, also Extremisierung und zu gewissermaßen klaustrophobischen Ergebnissen, zu kafkaesken Situationen, zu Vorstellungen von entgrenztem Denken und ziehe daraus Schlußfolgerungen für mein künstlerisches Arbeiten.
J.M.
Für mich ist das Interessante, daß Sie halt jahrelang als Typ immer extremer gewesen sind als Ihr Anspruch und deshalb war da eine Blockade.
H.V.
Ja, ist schon richtig. Eine Blockade zwischen der Vorstellung von dem, was man machen möchte und dem, was man überhaupt noch machen kann. Ich habe als Student mit dem konservativen Malen aufgehört, weil ich dachte, daß ich nicht malen könnte und auch keinen Weg gefunden, mich da heraus zu bewegen.
J.M.
Das mag ja vielleicht immer noch so sein, aber jetzt ist sozusagen der Schritt gemacht. O.k., der Herbert Volkmann ist vielleicht die extremste Figur in diesem Land als Mensch. Eigentlich dürfte es so ein Steinzeitwesen gar nicht mehr geben, Sie sind ja ein Fossil. Aber die Gesellschaft erlaubt sich so jemanden nicht mehr, oder nur noch als Abbild. Daß Sie jetzt ins Geschehen eingreifen, das ist das Wunder. Und vielleicht werden Sie und wir alle überrascht sein, wenn Sie sogar was Extremeres produzieren, als Sie selbst sind. Das wäre doch mal was, ich meine, dann Gnade uns Gott!
H.V.
Im Moment ist es ja erstmal visionär. Interessant ist, daß ich etwas mache von dem ich eine Vorstellung habe, träume, oder wie auch immer. Daß ich das versuche umzusetzen und zum Teil auch realisieren kann. Was dabei rauskommt oder das, was ich mir vorstelle, das ist schon eine sehr große und aggressive Welt. Wo, sagen wir mal, bestimmte Dinge, die wir abgrenzen oder die miteinander nichts zu tun haben, in Beziehung treten. Ob materialmäßig, gentechnisch oder weiß der Geier was, und daß sich daraus dann etwas formt, was so eine merkwürdige Überdimension hat. Gleichzeitig ist es sehr real. Für mich ist ja immer wichtig, daß ich die Dinge, obwohl surreal, so real wie möglich auf die Platte kriege. Die Sache so direkt wie möglich angreifen, emotional wie auch nervlich, dann ist die Möglichkeit am größten, damit etwas in Bewegung zu kriegen oder eben Erschütterung auszulösen.
Wenn ich mir Sachen vorstelle, kann ich leicht literarisch oder erzählerisch werden, was ich nicht anstrebe. Ich versuche im Grunde genommen, den biologischen Film oder dieses Moment des Aneinanderreihens irgendwie noch anders zu bewerkstelligen. Also im Grunde eine Form zu finden, die gewisse bewegliche Veränderung im Standbild doch noch bringen kann, … oder ein Aneinanderreihen von Bildern.
J.M.
Ja, aber ich glaube, das kommt automatisch, wenn man es ausführt. Und wenn man eben nicht der Gefangene der Vorstellung von Anderen ist. Für mich ist momentan das Interessanteste was in der Vergangenheit passiert ist, diese Hinterhältigkeit, die jetzt sozusagen auf Ihrer Seite ist. Vorher war da irgendein Typ, der heißt Herbert Volkmann, der hat irgendwas gemacht und dann hat er irgendwas nicht gemacht. Und jetzt haben Sie das Heft wieder in der Hand. Jetzt sind Sie der Joker. Sie können zurückschlagen. Sie können jetzt wieder in den extremen Volkmann eindringen und dann haben Sie erst mal so einiges vorgelegt. Das wird sich alles automatisch entwickeln. Und das finde ich, ist die Bombe. Sie haben den Spieß jetzt schon umgedreht. Wer macht das denn heute noch? Sie sind doch abgeschrieben gewesen, von oben bis unten, von vorne bis hinten, von Norden bis Süden, abgeschrieben, tot, einbetoniert, eine Leiche. Und die Leiche ist weg, aber der Zombie ist zurück. Der wird vielleicht wieder eine Leiche, aber zumindest ist er noch mal zurückgekommen. Deshalb ist alles drin, alles ist möglich, und das merken die Leute auch.
H.V.
Ich hab ja immer meine Phasen gehabt, in denen nichts rausgekommen ist. Ob nun mit Suchtmitteln oder ohne. Es gab ja immer solche Inkubationsgeschichten, die halt ihre Zeit brauchen. Ich hab im Grunde genommen immer längere Zeit gebraucht, um bestimmte Dinge zu verarbeiten und mir über manches klarer zu werden. Ich sehe das, bei dem was ich machen will, als relativ normal an. Aber ansonsten sind für mich diese Zeitdimensionen nicht da, ich denk nicht: ich muß das jetzt so tun, es muß halt irgendwie der richtige Moment kommen.
Gewisse Erfolge zu haben, gut klar, das ist eine wichtige Sache, aber was ich bestimmt nicht machen werde sind Dinge, die ich schon mal gemacht habe. Das Erfolgsbild stellt sich bei mir völlig anders dar. Aber scheinbar ist im Moment die Bereitschaft, sich auf meine Sachen einzulassen, wesentlich größer als vor fünf oder zehn Jahren. Ich meine damit das Konzept, auch den Drogenbezug zu bringen, also im Grunde genommen die Öffentlichkeit auf die Beziehung von Drogen und künstlerischer Arbeit hinzuweisen. Es gibt natürlich genug Leute, die mir abraten, dies zu tun, weil die Gefahr besteht, abgestempelt zu werden. Aber da ich ja sowieso schon gestempelt bin, spielt das auch keine große Rolle mehr, einmal abstempeln mehr oder weniger ist doch scheißegal.
J.M.
Ein Stigma ist immer gut, man hat es eh. Es ist besser, wenn man mit dem Stigma gleich nach vorne geht, also das Stigma benutzt und sofort die Karten auf den Tisch legt. Offen. Das macht eben keiner mehr. Ich glaube, die Leute sind auch an einem Punkt, an dem sie keinen Bock mehr haben auf diesen ganzen Peinlichkeitsscheiß. Das bringt’s auch irgendwie nicht.
H.V.
Schauen wir mal auf die Meeresbilder. Also für mich ist der Planet ja sowieso im Eimer und das wird sich in 50 bis 100 Jahren deutlich zeigen. Dann wird für etliche Leute das Licht relativ schnell ausgehen, denn die Möglichkeit, den Planeten mit größeren Menschenmengen zu verlassen, ist völlig ausgeschlossen. Die Vorstellung, sich irgendwie Lebensräume zu suchen, die zum Beispiel im Meer liegen, finde ich dagegen gar nicht so unwahrscheinlich. Also da unten irgendwas zu bauen, was Sauerstoff erzeugt und druckwiderstandsmäßig in Tiefen von sagen wir 500 Metern gut funktioniert, kann ich mir durchaus vorstellen. Ich finde es eigentlich auch ganz normal, daß man versucht, sich irgendwie von der Erde ins Meer zu reinkarnieren.
J.M.
Ich sehe das ja immer als die Suche nach einem radikal neuen Ort. Und die Antiradikalen oder Mitläufertypen können für mich bleiben wo der Pfeffer wächst. Die radikalen Menschen, die noch Menschen geblieben sind, suchen sich halt eine neue Zuflucht, wo dann auch was neues entsteht. Also ich meine, die Freuden des Herbert Volkmann sind extremer als alle Filme, die Fassbinder jemals gedreht hat und auch extremer als Klaus Kinsky. Vielleicht kann man es ja jetzt auch beweisen.
H.V.
Die Auseinandersetzung mit Form und Film, die kommt jetzt stark rein; es gibt einmal Körperlichkeit, mit der ich mich schon lange beschäftigt habe, und Räumlichkeit. Aber jetzt ist eben auch Atmosphärik und mediale Deutung der ganzen Sache angesagt. Also in was für einem Raum sich das eigentlich abspielt und was dahinter steht. Ich kann das schwer erklären, weil es für mich am ehesten in Richtung auf einen biologischen Begriff zu erklären ist.
J.M.
Aber das ist ja gerade der Punkt. Über diese Sachen wurde halt die letzten fünf, zehn Jahre geschwafelt. Und nun wird’s gemacht, und es ist ja auch genau der Bereich, wo das hin muß: in Bilder, weil es sich dort konkretisieren kann. Sprache oder Traum, ist ja alles schön und gut, aber erst dadurch, daß Sie es jetzt wirklich machen, wird es konkretisiert und umgesetzt. Das ist nämlich der Witz an der Sache, es ist umsetzbar. Vielleicht sogar in der Realität, das muss man abwarten.
H.V.
In der Realität?
J.M.
In der Realität als Kunst, das muß gemacht werden.
H.V.
Das wäre natürlich ein ziemlicher Hammer.
J.M.
Ich glaub ja an so etwas noch, die meisten glauben das nicht.
H.V.
Die meisten glauben sowieso an nichts mehr. Ich hab da mal so einen Spruch aufgeschrieben „ Erstens fehlt die Haltung und zweitens der Glaube, daß eine inhaltliche Malerei wie van Gogh oder Beckmann so noch einmal möglich ist.“ Ich glaub´ an van Gogh. Und deshalb funktioniert es bei den meisten auch nicht, weil einfach der Glaube fehlt, der Wille und die Haltung. Weil man sich einfach nicht vorstellen kann, so zu sein. Du kannst aber nur etwas sein, wenn du es auch sein willst. Wenn von vornherein die Tür zu ist, geht sowieso nichts. Ich meine durchaus, daß man immer noch komplexe Bilder mit entscheidenden Realitätsverwerfungen malen kann.
J.M.
Ich glaube ganz persönlich, daß noch viel extremere Bilder gemalt werden können. Von noch viel extremeren Menschen und daß diese Menschen uns möglicherweise sogar bald regieren werden. Man muß sich mal einen van Gogh als Regierungschef vorstellen. Wahrscheinlich würde die Welt viel besser aussehen, vor allen Dingen viel abenteuerlicher und interessanter. Aber für so was haben wir viel zu viel Schiss in der Hose, einfach mal zu sagen: den Typen setzen wir in die Regierung oder irgendein Tier, irgendeine Qualle, die mit irgendwas ausgestattet ist. Und das Spannende an der ganzen Geschichte ist ja, daß sie bisher immer ein abstraktes Orakel war und jetzt konkret wird. Die Bilder sind ein abrufbares Orakel und ich glaube, so werden die Leute das auch sehen. Sie werden in den Bildern Orakel erkennen, wie Delphi oder wie aus der tiefsten Vergangenheit, so einen komischen Trichter, der ihnen irgendwie aufgesetzt wird, mit einer neuen Flüssigkeit oder Substanz gefüllt. Die Leute glauben nicht mehr an van Gogh, aber drei, vier oder fünf Leute weltweit glauben trotzdem dran und die werden die Gewinner sein; die werden die Leute überrumpeln.
H.V.
Na klar, es werden immer die die Gewinner sein, die solche Extrempositionen voreruieren und eben auch aushalten können, auch wenn ihr Verhalten von den meisten abgelehnt wird. Wenn wirtschaftlicher und gesundheitlicher Erfolg die oberste Maxime sind, … es soll mir so gut wie möglich gehen, das mißt sich in Wertzuwächsen wie Auto, Haus, Reise, weiß der Geier was, … und ich möchte so alt werden wie möglich und gesund sein und mit 50 noch hopsen und springen wie ein Zwanzigjähriger. Wenn das die Maxime ist, wo man nicht sagt, o.k., das Leben verbraucht sich oder meine Lebensenergie wird abnehmen, dann werden die Dinge so nicht kommen.
Das können natürlich nur Leute machen, die erstmal so nicht denken und auch ganz andere Wertmaßstäbe haben. Denen bestimmte Dinge völlig scheißegal sind und da bricht sich das Ding schon. Wir sind heute in einer Gesellschaft, wo es wirtschaftlich eher bergab als bergauf geht, wo diese konsumistischen Dinge für die meisten sehr wichtig sind. Aber so kann es ja nicht funktionieren und du musst dich da schon irgendwie außerhalb stellen. Aber ich muß sagen, daß ich es persönlich im Alter von 30 wahrscheinlich auch hingekriegt hätte.
J.M.
Es hat halt diese Zeit gedauert, aber Sie haben keinen Schaden daran genommen, überhaupt nicht. Das löst sich jetzt auf, so wie es sich eben auflösen muß. Ich finde hochinteressant, was Sie da vorhin von den Maßstäben der Leuten gesagt haben. Die wollen ja das Extreme meistens gar nicht oder das Absonderliche und Seltsame. Das soll bekämpft werden auf Teufel komm raus. Das wird nur gut gefunden, wenn die Leute schon tot sind. Aber solang sie noch leben und vielleicht noch ein anderes Risiko in sich tragen, wird das bekämpft bis aufs Blut.
Man muß sich deshalb einen Regelverstoß überlegen, der einen stark macht. Diese ganzen technischen Fragen, die machen einen sowieso immer nur schwach. Und auf der anderen Seite ist das Feld ja komplett offen. Das ist ja das spannende, daß bestimmte Sachen überhaupt noch nicht beackert worden sind. Das hermetische Feld der Kunst ist überhaupt noch nicht betreten worden oder kaum. Wenn die Leute auf Kommunikation gehen, werden sie dadurch natürlich immer schwach. Die Performances, die Aktionen sehen zwar super aus, sind auch geil, aber solange es um Kommunikation geht, ist man sozusagen eine Geisel. Man geißelt sich selbst und macht nur Volksbelustigung. Man muß aber der wahren Brutalität von Kunst Raum lassen und das wird dadurch verhindert, daß man sich selbst in den Vordergrund spielt. Es geht ja nicht um unsere Befindlichkeit, es geht auch nicht um unsere Experimente, sondern es geht um viel größere Experimente, die an uns gemacht werden, wenn wir uns dem sozusagen demütig zur Verfügung stellen. Das finde ich sieht man an den neuen Bildern. Da sind Sie zum Beispiel ein Hai, ein Hammerhai, mit Brillantzähnen, und die sind stärker als die Gesellschaft, sind stärker als der Staat oder stärker als der Treck oder die Enttäuschten. Das finde ich radikal und richtig, daß der hermetische neutrale Herbert Volkmann jetzt loslegt und reingeht in die Geschichte.
H.V.
Ich gehe in erster Linie erst mal in mich selbst. Ich fühle mich im Grunde genommen existenziellen Dingen, also auch der Kunst, irgendwie nahe, also auch Künstlern, die es so betrieben haben, daß dann irgendwann auch mal Ende war. Für mich ist wichtig, daß ich durch meine ganzen Exzesse ein paar mal sozusagen im Sterbezimmer war, das hinterläßt schon gewisse Spuren. Und diese Form von Selbstversuchen, auch da, wo es unangenehm wird, finde ich gut. Es ist eine Möglichkeiten, sich irgendwie zu wandeln oder zu drehen. Aber das ist jetzt abgeschlossen, glaube ich. Jetzt kocht die Suppe über und da muß manches mal raus. Es kommt auch raus nachdem bestimmte Ladehemmungen, die eine Zeit lang da waren, so nicht mehr da sind.
J.M.
Jetzt ist die Zeit eben oberreif. Der langustenartige Schwanz-Herbert-Volkmann ist sozusagen eine neue Wesensart, die von irgendeinem Riesenkraken gefressen wurde. Da ist ein Monster entstanden durch Kopulation mit irgendeiner unbekannten Tiefseepflanze.
H.V.
Ja genau, das ist der Gedanke von einer dritten unbekannten Intelligenz, die sich neben den Menschen zum Teil in der Tierwelt breitgemacht hat. Die sich irgendwie von alleine in der Natur bildet, ohne daß wir das mitkriegen. Ich will letztlich hin zum neuen Körper, zum neuen Wesen, das wir noch nicht kennen. Eins das sozusagen eine biologische Eigenexistenz hat. Und das soll sich auch auf das ganze Bild auswirken, so daß man gewissermaßen von einem biologischen Film sprechen kann. Ich versuche meine Rolle als Maler zu verändern, mir also vorzustellen: ich bin eine Spinne, oder ich bin der Spinnenjäger, um daraus weitere Schlüsse zu ziehen. Ich versuche, eine zweite oder dritte Ebene in dem Bild zu schaffen. Was denken Personen oder Wesen im Bild, was sehen oder glauben sie, um daraus eine Form der Rückkopplung zu machen.
J.M.
Da kommt man ja auch sehr an dieses „Kunst ist die Laune der Natur“, das haben wir immer vergessen. Das wunderbare an Kunst ist ja ihre Willkür. Und das darf man eben nicht persönlich nehmen. Genauso wie Sie auch gesagt haben: Aus dem Bild formt sich die Sache selber, dieses komische Wesen, dieser Fötus oder dieser merkwürdige Superembryo. Der weder Zwerg noch was anderes ist, sondern etwas Neues, etwas völlig Eigenständiges, aus einer Hingabe geboren, aus dem Bildraum, das ist eben nicht mehr unser Gedanke. Sondern es ist ein Gedanke, den wir noch nicht kennen. Und der entsteht nur, wenn man das zulassen kann. Und das bricht jetzt sozusagen auf. Die Wunde, die Pestbeule bricht auf und man kann nur hoffen, daß eine neue Pestform, eine neue übergeordnete Seuche unseren Planeten erfaßt und neue Kreaturen geschaffen werden, die irgendwie wieder Spaß und Abenteuer ins Spiel bringen. Das wird aus solchen Bereichen kommen, da bin ich mir hundertprozentig sicher. Das ist die neue Waffe. Und ich glaube, daß Herbert Volkmann und viele andere dazu beitragen können, daß diese Waffe erzeugt wird. Man muß es ja nur gestatten, einfach passieren lassen.